Werkstattbesuch: der Schlagschrauber beim Radwechsel

  • Nun ist ja wieder die Umrüstzeit bei den Reifenhändlern in vollem Gange.
    Aber auch die KFZ-Werkstätten arbeiten gern mit Schlagschraubern, um die Räder an unsere Vehikel zu montieren.
    Da ja bei MK2 Elisen schon zum Luftfilterwechsel ein Rad ´runter muss, ist das Thema eventuell von Interesse.


    Mir ist da folgende "Zeremonie" in diversen Werkstätten aufgefallen:

    Zunächst wird das Rad liebevoll auf die Radnabe aufgesetzt, sorgfältig ausgerichtet und dann werden die Bolzen routiniert mit dem Druckluft-Schlagschrauber eingeschraubt.
    Krkrkrkrk - das Geräusch beeindruckt durch akustische Präsenz und der "Spirit" der großen Rennserien liegt in der Luft...

    Nun folgt der bedeutungsschwangere Griff des Zeremonien-Meisters zum fast schon sakralen Zeichen seiner Kompetenz.
    Der DREHMOMENTSCHLÜSSEL wird mit kundiger Miene auf einen vom Hersteller vorgegebenen Wert eingestellt und mit liturgischem Getue werden die Radbolzen damit bearbeitet.
    Das wohlige Klicken vermittelt dieses "alles-wird-gut-Gefühl" von Sicherheit beim Kunden.


    Was mir immer wieder wieder auffiel, war die Tatsache, dass sich bei der Verwendung des Drehmomentschlüssels vor dem Klicken der Radbolzen nicht bewegte....
    Ist ja auch kein Wunder - der Schlagschrauber leistet ja ganze Arbeit beim Anziehen ;)


    Ich habe nach diversen Werkstattbesuchen mit Radmontagen mal versucht das Lösemoment schrittweise mit meinem Drehmomentschlüssel zu erkunden.
    (Ob das Lösemoment dann auch 1zu1 exakt dem Anzugsmoment entspricht will ich nicht beschwören.)
    In der Tendenz war aber eindeutig zu sehen, dass der Schlagschrauber-Einsatz zu deutlich höheren Anzugsmomenten im Vergleich zu den Herstellerangaben führt.

    - Um die Bolzen zu lösen musste ich z.B. bei der Elise ca. 190Nm einstellen - nach einem Service bei einer offiziellen Lotusvertretung.
    (Werks-Angabe Anzugsmoment 100Nm)
    - Bei meinem E30 waren nach einem Querlenkerwechsel bei einer freien Werkstatt immerhin 200Nm zum Lösen der Bolzen nötig.
    (Werks-Angabe Anzugsmoment 110Nm)
    - Den Vogel hat aber eine BMW-Vertragswerkstatt nach einem Bremsscheibentausch beim E36 meines Vaters abgeschossen, hier waren ganze 250Nm zum Lösen notwendig.
    (Werks-Angabe Anzugsmoment 110Nm)

    Ob durch die hohen und eventuell ungleichmäßigen Anzugsmomente in der Praxis irgendwelche Nachteile zu erwarten sind, kann ich nicht beurteilen.
    Interessant find ich die Tatsache aber schon, dass Herstellerangaben in einigen Werkstätten schlichtweg nicht beachtet werden.

    Vielleicht ist es aber auch zu pingelich darüber nachzudenken....


    Gruß in die Runde!

  • Ein nettes Hallo,

    mir erscheint diese Praxis auch äusserst fragwürdig und ich wundere mich fast, dass auf die Tour noch nicht reihenweise Radschrauben abgerissen sind...
    Durch Studium und lange Praxis im Maschinenbau aber auch als Hobbyschrauber vorher schon gilt die Binsenweissheit "Nach fest kommt lose" ;)
    Die im Maschinenbau von Gewindeart und Materialfestigkeit abhängig festgelegten Anziehmomente sind in langen Versuchsreihen ermittelt worden als guter Kompromiss von fest genug aber noch weit genug von der Streckgrenze entfernt. Das Problem dabei ist, dass Randbedingungen wie Schraube neu/korrodiert, Oberfläche trocken/gefettet/geölt einen enormen Einfluss auf den Reibwert haben. Dazu kommt, dass die Schraube sich in die Gegenfläche auch ein Stück weit "eingräbt" oder sich durch Korrosion zwischen Schraube und Gegenfläche eine Art "Verzahnung" ergibt, die durchaus dazu führen kann, dass das Losbrechmoment beim Öffnen deutlich grösser sein kann als beim Anziehen (empirisch aus meiner Praxis würde ich sagen bis +50-70%).
    Daher wechsle ich persönlich meine Räder ausschliesslich selber und ziehe sie auch nur mit dem Drehmomentschlüssel in entsprechender Reihenfolge "überkreuz" nach Werksangabe an.
    Jedem, der sich und seinen Radschrauben etwas gutes tuen möchte, würde ich das Gleiche empfehlen ;)

    Allen eine gute und sichere Fahrt.

    Martin

    https://www.lotus-forum.de/www.tphystec.de

    Don't only dream about, feel it and do it!

  • moin,


    wir benutzen snap on Akkuschrauber. der zieht beim ersten leichten klackern 70-80nm. wenn man dann länger draufhält dreht der zur not auch den radbolzen ab oder durch das alu der felge.

    das wissen aber meine Mechaniker und daher gehen mit dem drehmomentschlüssel erstaunlicherweise noch einige drehwinkel bevor der auslöst.

    es ist aber schon so wie beschrieben das viele Werkstätten mit der komplexen Technologie des radwechselns völlig überfordert sind.
    (zum glück aber auch für einige user hier die 7 seiten lang darüber rätseln wie man denn nun ein rad an der exige abbauen kann..... :D )

    das beste Werkzeug nützt eben nix wenn der bediener doof ist.


    guido

    ACHTUNG ! jetzt neue Signatur:
    elise mk2,mit rover Motor, bsc toelinks, fächerkrümmer, krawalltüte,teamdynamics felgen mit uraltsemis (kann ich selbst wechseln),hat noch rest tüff (in Anlehnung an andere total bescheuerte Signaturen....
    ACHTUNG ! Jetzt erweiterte Signatur wegen bescheuerter User :

    Teile meines Beitrages können ironische, sarkastische oder zynische Bemerkungen enthalten.
    Ich bin nicht verantwortlich für das was der Leser da hinein interpretiert !

  • Scheinbar schon.

    Denn auch ich habe hier in GE ein paar Reifenhändler, bei denen ich Reifen kaufe und wuchten lasse, aber ich schraube die Räder aus den o.g. Gründen lieber selbst und fachgerecht dran.
    Einmal, und es war das letzte mal, dass ich sie montieren ließ, habe ich Mühe gehabt die Schrauben mit aufgestecktem Verlängerungsrohr (1,5m lang) gelöst zu bekommen. Bei einer Panne unterwegs NULL Chance gehabt.

    Ja, scheinbar ist das Rädermontieren in vielen Reifen(fach?)betrieben doch eine Raketenwissenschaft. Leider.

    Gruss Martin

    Vernünftige Autos werden vom Antrieb geschoben, nicht gezogen !!!" (Walter Röhrl)

  • Radschrauben sollten soweit ich weiß immer trocken verwendet werden.

    Bei andere Anwendungen sieht das unter Umständen anders aus:
    Durch die Verwendung von Fett als Gleit- oder Trennmittel ändert sich auch der Reibwert.
    Dann sollte das Drehmoment entsprechend angepasst werden.

    Ich hatte mal ein Trennmittel (mit Bleianteil) im Einsatz mit einer exakten Angabe über die Drehmomentreduzierung in "Nm", die beim Anziehen vom ursprünglichen, trockenen Wert abzuziehen war...
    Da ging es aber um die Verschraubung von Stahlgewinden in Aluminium...

    Einmal editiert, zuletzt von Gogo (5. April 2014 um 16:35)

  • Dazu kommt, dass die Schraube sich in die Gegenfläche auch ein Stück weit "eingräbt" oder sich durch Korrosion zwischen Schraube und Gegenfläche eine Art "Verzahnung" ergibt, die durchaus dazu führen kann, dass das Losbrechmoment beim Öffnen deutlich grösser sein kann als beim Anziehen (empirisch aus meiner Praxis würde ich sagen bis +50-70%).

    Normalerweise ist es eher anders herum. Durch das Setzen der Verschraubung und elastischer Verformung der Bauteile unter Belastung und auch unterschiedlicher Ausdehnung der Materialien unter Temperatur kommt es eigentlich immer zum Klemmkraftverlust einer solchen Verschraubung. Dass die sich nach 1 Jahr eher schwerer lösen lassen als sie angezogen wurden, liegt dann eher an Korrosion/Verschmutzung usw.

    Meine Anekdote zum Thema:

    Von einem Kollegen hat der Vater die Räder am Auto der Mutter gewechselt. Da er ehemaliger Flugzeugmechaniker ist, war scheinbar alles unter M20 für ihn "Feingewinde" und er hat die Räder mal ordentlich mit Kraft angezogen, wie er es sonst kannte. Als wir mit Schlagschrauber nicht weiter kamen und unsere großen Drehmomentschlüssel (die für die Zentralmuttern..) bei 650Nm immer noch knackten, wurde die Menschentraube um das Auto in der Werkstatt erwartungsgemäß immer größer. Nicht alle Bolzen haben es überlebt, manche mussten ausgebohrt werden...