Bei einem Besuch des freundlichen Lotus Händlers vor Ort ergab sich spontan die Gelegenheit, den Europa S probezufahren, vielen Dank an Mr Brecht dafür.
Nun, im Februar steht die Sonne in den elbnahen Gebieten noch flach am Himmel und taucht die Dinge in ein goldenes Licht, auch einen schwarzen Europa. Der hätte die Schmeichelei nicht nötig, denn anders als auf den Pressebildern steht er in Natura mit einer gelungenen und für einen Lotus typischen Mischung aus Fragilität und grimmiger Entschlossenheit auf den Rädern. Der Europa S ist immer noch ein kleines und flaches Auto, straff aber nicht sehnig, zurückhaltend aber nicht niedlich. Er trägt einen feinen Anzug aus leichtem Stoff, keine Baseballcap, und ganz sicher kein T-Shirt ohne Kragen.
Wo steht der Europa S und was will er sein? Sportwagen wie der Porsche Cayman oder das Z4 Coupé schleppen ja buchstäblich schwer an dem diffamierenden Verdacht, dass sie zuallererst sexuelle Unzulänglichkeiten des Fahrers zu kaschieren und womöglich zu kompensieren haben - Prothesen für die Zukurzgekommenen. Weitere Unsicherheit entsteht, weil etwa ein Cayman in den Augen mancher Kenner - und dazu zählen sich ja viele Lotusfahrer - der diffuse Hinweis einer umgekehrten geschlechtlichen Orientierung, also womöglich ein Gayman, sein könnte.
Der Europa S transzendiert die Verwirrung der Zeichen und Symbole. Ihn trifft kein Verdacht, und zwar einfach deshalb, weil er jede platte Identifikation auf den ersten Blick verweigert. Nur der Kenner wird ihn als Lotus identifizieren, alle anderen sehen einen unüblich kleinen Wagen mit eleganten und flachen Formen, der auf genretypische Aggressivität verzichtet und Wert legt auf verbindliche Umgangsformen.
Der Europa S ist das Auto für den dritten Blick und für Leute, die simplen Wahrheiten misstrauen. Dass die Fahrer hochgerüsteter MKI Elisen den Europa S wiederum unter den alten Verdacht der Sexualsublimierung stellen und sich beklagen, dieses Auto sei ganz anders als ihr eigenes, sozusagen vom anderen Ufer, überrascht nicht weiter. Offenbar hat Lotus erfolgreich Zielgruppenforschung betrieben. Denn warum sollte Lotus eine weitere Elise bauen, wo es doch eine gute frisch aus der Fabrik gibt.
Natürlich fährt der Europa S auch, und zwar sehr gut. Der Einstieg gelingt dank des noch tiefer ausgeschnittenen Schwellers leichter als in die Elise und dürfte auch an einem dunklen Montagmorgen im Januar im Regen mit Würde zu absolvieren sein.
Die Sitzposition stimmt, die Probax Sitze nehmen jede Statur sanft aber nachdrücklich in den Griff, Schaltstock und Lenkrad passen. Natürlich ist der Europa innen kaum größer als eine Elise, es empfiehlt sich daher, mit dem Beifahrer oder der Beifahrerin über die grundlegenden Fragen des Lebens einig zu sein.
Das Anlassen führt zu keinem Freudenschrei: Der Opelmotor nuschelt ein wenig lustlos vor sich hin, wahrscheinlich sind die modernen Emissionsvorschriften eine zu schwere Last geworden. Sportluftfilter und Abgasanlagen können aber nach Belieben nachgerüstet werden, um die Aussprache zu akzentuieren.
Die Lenkung überzeugt schon nach wenigen Metern mit einer Reinheit, Klarheit und Präzision, die man heute eigentlich nur noch in einem Lotus findet. Völlig linear, mit genauer Rückmeldung, ohne nervös zu werden - ein angenehmer Gesprächspartner, die immer eine Antwort weiß, nie ins Wort fällt und stets die Etikette bewahrt.
Ähnlich exzellent sind Federung und Dämpfung: Lotus-typisch straff und präzise, mit langen Federwegen, die den Aufbau beim schnellen Fahren arbeiten lassen, ihn aber immer unter Kontrolle haben. Und selbst wenn der Europa S mit knapp unter einer Tonne deutlich schwerer ist als eine Elise und gegenüber einer MKI fast als fettleibig gelten muss, fühlt er sich herrlich leichtfüßig ein. Und genau betrachtet geht das Gewicht auch in Ordnung, denn der Europa S schleppt zwei Airbags mit sich herum, ein ABS, einen nutzbaren Kofferraum und weitere Annehmlichkeiten. Die Konkurrenz ist noch immer 300 bis 400kg schwerer.
Wo zum Beispiel ein Z4 auf breiten Walzen mit knallharter Dämpfung schwerfällig den kleinsten Spurrillen nachläuft, segelt der Europa S sauber und ohne Irritationen auf dem präzise und genau eingeschlagenen Weg, schwerelos, diszipliniert und agil. Dieses Auto ist immer auf Seite des Fahrers, aber es würde ihn nie bevormunden. Wie in der Elise entdeckt man im Europa S die Mechanik des Fahrens neu.
200 PS und 270nm Drehmoment reichen für die eiligen Momente des Lebens aus. Der Europa fährt entschlossen vorwärts und das gut zu schaltende 6-Gang Getriebe ist kurz gestuft. Sensible Fahrer werden eine ganz leichte Wellenbewegung im Drehmoment zwischen 3000 und 6000 bemerken, aber sicher wird es schon bald die üblichen Software Updates geben. Oder man lässt einen Chip platzieren, der 240PS aus dem Opelmotor herauszuholen verspricht.
Der Kofferraum ist leicht zugänglich und weist jene Größe auf, die einen stilvollen Ausflug an die Riviera zur realen Option, nicht zum Wunschtraum werden lässt. Es ist Platz genug für ein dunkelblaues Leinenjackett, das man in einem Café an der Mole in San Remo tragen sollte, und die bessere Hälfte muss nicht auf das passende weiße Sommerkleid verzichten.
Es mag nun sein, dass mancher das harte Plastik in Noppenoptik auf dem Dashboard für zu billig hält. Man sollte über derlei Nachlässigkeit jedoch nicht klagen, sondern darin mit Großmut die Aufforderung erkennen, dem heimischen Autosattler etwas Arbeit zu verschaffen, der die störenden Teile mit Leder beziehen möge. So hat auch Frau Merkel was vom Europa. Die Verarbeitungsqualität ist angemessen, die Nähte auf den Sitzen sind schön geführt und das unauffällig verbaute Dämmaterial nimmt langen Strecken den Schrecken. Der Europa S ist kein lautes Auto, das Geräuschniveau ist akzeptabel.
Bleibt noch der Preis, 49.500 Euro sind nicht eben wenig, auch wenn Annehmlichkeiten wie die Klimaanlage und ein Navigation Serie sind. Es bleibt als Wahl nur die Farbe und hier möchte ich sehr darum bitten, den Charakter des Autos mit einer dunklen, zurückhaltenden Farbe zu betonen. Es muss nicht immer grau sein, auch in Dunkelblau steht der Europa stilsicher da, innen bitte das zweifarbige Leder wählen. Vielleicht müsste Lotus den Preis um 5000 Euro reduzieren, um mehr Leute zu den Händlern zu locken.
Interessenten sollten nicht die Aggressivität einer Elise oder der Exige erwarten. Der Europa S ist ein modernes Auto, das eine alte Tradition neu interpretiert: die des eleganten und zurückhaltenden sportlichen Grand Tourismos. Dieses Auto kann man jeden Tag bewegen, ohne Entbehrungen auf sich zu nehmen und ohne Verzicht üben zu müssen. Man kann überall vorfahren, wird immer korrekt angezogen sein und jeden gefahreren Meter genießen.
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